Michael Kunert in Leipzig
Alberto Beneventi – Campi di Neve – Muri
Beneventi malt in Zyklen. So lange er noch neue Formen findet, ist ein Zyklus für ihn nicht abgeschlossen.
Schneelandschaften: Mann kann sich in Beneventis Schneelandschaften verlieren. Man spürt die Kälte. Die beruhigende Wirkung des Schnees, der jedes Geräusch verdeckt. Man kann die Landschaft erahnen, die Bäume, Büsche, die Löcher im Schnee, an denen er bereits zu schmelzen beginnt, die Weite der Landschaft, den Horizont und in der Ferne vielleicht eine Stadt, Berge... All dies lässt sich erahnen. Das selbe Motiv, das Beneventi in Variationen immer wieder bearbeitet, gleich, aber nicht identisch. Eine kontemplative Ruhe geht von den Arbeiten aus. Sie lassen uns selbst ruhig werden.
Doch man würde Beneventi unrecht tun, reduzierte man ihn auf das Thema Landschaften. Landschaften sind lediglich das poetische Bild, in das Beneventi seine Gedanken gießt. Sie dienen als Metapher des Lebens. Seine Landschaften sind menschenleer, denn auch, wenn sie äußerlich anmuten, so sind sie doch letztlich Innenansichten.
Die Schnee bedeckten Felder, zeigt das Leben, das bereits von uns gelebt wurde. Dunkle Stellen symbolisieren unsere dunklen Stellen des Lebens, Ereignisse, Schmerz und Leid. Man kann Beneventis Bilder individuell als auch kollektiv verstehen.
Auch, wenn unser Leben nicht schlecht verläuft, so ist das Leben doch immer wieder geprägt von Mühe, Repetition, Stresses. Stresses, der uns häufig verzweifeln lässt. Gerade in der industriellen Welt haben psychische Erkrankungen in den letzten 50 Jahren signifikant zugenommen, auch wenn uns ökonomisch keine besonderen Sorgen drücken im Vergleich zu Bewohnern von Schwellenländern oder der 3. Welt. Das Kollektiv verliert an Bedeutung, wir grenzen uns nach außen ab, als Individuum aber auch als Nationen.
Politische Propaganda, egal ob von rechts oder links, möchte uns glauben machen, dass die Welt in der wir leben das bestmögliche Modell ist. Zwar nehmen wir wahr, dass anderer Orts Elend herrscht, doch genießen wir unseren Status Quo.
Beneventi kämpft für eine Welt, in der Menschen anderen Menschen weniger Schmerz zufügen. Die ideologischen Kriege des 20. Jahrhunderts haben diese Tendenz noch verstärkt. Doch welche alternativen Gesellschaftsmodelle stehen uns zur Verfügung? Beneventi wünscht sich eine Gesellschaft, in der persönliche Freiheit herrscht, eine empathische Gesellschaft die nicht auf Ideologie oder Technokratie basiert.
Und so ist auch der Horizont der Bilder zu verstehen, der Wunsch nach einer Gesellschaft, bei der es nicht mehr wichtig ist, ob man Deutscher oder Franzose ist, schwarz oder weiß, man nicht mehr nur unsere eigenen individuellen Bedürfnisse berücksichtigt und andere exkludiert, sondern eine integrative Gesellschaft ohne Nationalismus. - Wie würden die Menschen reagieren, wenn nicht 20.000 Afrikaner im Mittelmeer begraben liegen, die bei Ihrem Versuch starben den Weg in ein Menschenwürdiges leben zu gehen, sondern stattdessen 20.000 Deutsche oder 20.000 Engländer oder Amerikaner.
So leicht Beneventis Schneelandschaften daher kommen, so politisch aufgeladen sind sie. Das Holz und seine Struktur ist die Struktur des Lebens. Der Horizont verweist uns auf eine andere, bessere Welt verspricht Hoffnung.
Alberto Beneventi – Muri
Beneventi malt in Zyklen. Sein Mauerzyklus ist für ihn von außerordentlicher Bedeutung.
Die Mauern der verlassenen Häuser in den ländlichen Gegenden von Modena, die dem Verfall anheim gegeben sind, haben Beneventi bereits als Kind beschäftigt.
Sie sind die letzten Zeichen von Leben, von Familien, die über Generationen dort gelebt haben. Jetzt, da sie verlassen sind, lösen sich mit dem Verfall auch die Erinnerung auf an das, was mal Gewesen ist und an die Menschen, die dort einst lebten.
Die Mauern, die eingestürzten Kamine, die Material und Farbreste, die Holzreste und die Moos bewachsenen Steine sind die letzten Zeichen eines sich aufbäumenden Lebens Sie sind die letzten Zeugnisse der Emotionen, die man immer noch erahnen kann bevor sie endgültig vergessen sind.
Unzählige Male hat Beneventi diese Orte besucht, hunderte von Fotos gemacht, um sich die Atmosphäre und Emotionen, die Grundlage seiner Malerei sind, einzuprägen.
Dennoch ist keines seiner Mauer-Gemälde einer realen Mauer nachempfunden. Die Mauer ist das Symbol für unsere eigene Vergänglichkeit, für den Zerfall und letztendlich für das vergessen werden.
Beneventi versucht diesen Schatz geronnener Emotion, die er erfühlt und erkennt, in seinen Gemälden festzuhalten. Dabei hat seine Malerei nichts dokumentarisches, sie ist trotz aller Schwere dem sich aufbäumenden Leben und letztlich der Liebe zum Leben gewidmet.
Sein Versuch die Erinnerung zu konservieren, die Emotion festzuhalten, geht dabei nicht ohne Abgrenzung. So ist in vielen Mauer-Gemälden eine Aufteilung sichtbar, in der es einen dunklen Teil und einen helleren Teil gibt. Das dunkle ist bereits vergessen, gestorben, tot. Der helle Teil ist zwar der Vergänglichkeit preisgegeben, aber noch gibt es Leben, noch gibt es Erinnerungen. Der Kreidestrich an der Wand ist ein Hinweis auf ein Kind, etwas lebendiges, ein Kind wie er es einmal war.
Die Materialität seiner Bilder, der Duktus seiner Malerei, sind von einer tiefgehenden Schwere geprägt. In seinem komplexen Gesamtkunstwerk ist der Farbauftrag in dicken sich bewegend anmutenden Schichten ein Mittel, um den vielen Emotionen denen er Ausdruck verleihen will, gerecht zu werden.
Es sind genau diese geronnenen Emotionen vieler Leben und ihre Geschichten, die zum Ausdruck seiner Malerei werden. Er versucht sich die vielen Geschichten, die das Leben schreibt, vorzustellen und einzufangen. Jede Farbe hat ihre besondere Bedeutung in seinen Bildern.
Dabei kommt dem Weiß eine ganz besondere Bedeutung zu, Weiß ist der Anfang, die Bewegung des Lebens.
Das Rosa in seiner Vermischung, in der Abstraktion, ist der metaphorische Hinweis auf den kommunikativsten Raum im Haus, die Küche, in der sich in den ländlichen Regionen Norditaliens in der Regel ein Großteil des Lebens abspielte und die üblicherweise Rosa gestrichen wurden. Jetzt sind nur noch Farbreste, Zeugen dieses Leben.
Das Grün das Platz greift, ist das Moos, das seinen Tribut an die Natur fordert und mit der Zeit alles überdeckt.
Beneventi beschwört in seinen Bilder die Verpflichtung der Kunst zur Beschäftigung mit der Vergangenheit, in dieser Hinsicht ist er seinem wichtigsten Vorbild in der Malerei Amseln Kiefer auch inhaltlich sehr nahe. Auch er stellt mit seiner Arbeit die Frage nach der ethischen Entwicklung unserer Gegenwart.
Beneventis Blick in die Vergangenheit in seinen „Muro“ Gemälden muss als Gesellschaftskritische Betrachtung gesehen werden für das, was uns die Vergangenheit mit auf den Weg gibt an Erfahrungen für die Gestaltung einer empathischen und menschenwürdigen Zukunft.
Dabei wirft er die Frage auf, was die bildende Kunst in einer Zeit der politischen Konflikte der Gegenwart zu sagen hat.
Nicole Thamm
Michele Sciurba
„Killing is Fun“ von Volker Reiche
In der Art Virus wird es im Februar 2015 eine Ausstellung geben, die einen ganz anderen Reiche zeigt, es wird das malerische Werk präsentiert und nicht der Comiczeichner. Volker Reiche hat mit »Strizz« von 2002 bis 2010 für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« den erfolgreichsten deutschen Zeitungscomic gezeichnet. Dafür hat Reiche wichtige Auszeichnungen erhalten: den „Max-und-Moritz-Preis“ der Stadt Erlangen, den „Olaf-Gulbransson-Preis“ sowie den „Swift-Preis“ der Stiftung Marktwirtschaft. Außerdem wurde er 2006 als »Bester deutscher Comiczeichner« ausgezeichnet.
Zur Buchmesse, im Oktober 2013, ist bei Suhrkamp seine autobiographische Graphic Novel "Kiesgrubennacht" erschienen. In der Graphic Novel gibt es in Form von gemalten Bildern, die gelegentlich in den Zeichnungen auftauchen, bereits hinweise auf seinem Malzyklus.
Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft glauben, dass der Mensch, insbesondere durch seine kognitiven Fähigkeiten, sich selbst und seine Umwelt wahrnehmen zu können und mit seiner grundsätzlichen Fähigkeit zur Reflexion, Vernunft orientiert handelt. In der Malerei von Volker Reiche werden wir mit genau diesen Fragen konfrontiert: Wie groß ist tatsächlich der Anteil an Vernunft, der im Menschen steckt? Wie bereitwillig lässt der Mensch die Unvernunft die Oberhand gewinnen?
Die Bilderwelten die Reiche entstehen lässt, konfrontieren uns mit dem menschlichen Abgrund, in den sich offensichtlich immer wieder Menschen gerne freudig stürzen. Das Privileg des Menschen besteht ebenfalls darin, sich Wahnideen, Rassismus, religiösen Fanatismus oder anderen Formen von Autodestruktion hinzugeben, genau dieses begegnet uns als Spiegel unserer Zeit in der Malerei Reiches. Beckmann als Maler hat auf Reiche großen Einfluss genommen. Es gibt eine nähe im Suget, eine Nähe, die unter anderem Ausdruck findet in Beckmanns Beschreibung seiner eigenen Malerei kurz vor Ende des ersten Weltkrieges: "Ich glaube, dass ich gerade die Malerei so liebe, weil sie einen zwingt, sachlich zu sein. Nichts hasse ich so, wie Sentimentalität. Je stärker und intensiver mein Wille wird, die unsagbaren Dinge Des Lebens festzuhalten, je schwerer und tiefer die Erschütterung über unser Dasein in mir brennt, umso verschlossener wird mein Mund, umso kälter mein Wille, dieses schaurig zuckende Monstrum von Vitalität zu packen und glasklarer scharfe Linien und Flächen einzusperren, nieder zu drücken, zu erwürgen."
Anders als Beckmann zeigt Reiche uns in seinem Bilderzyklus jedoch nicht die Opfer sondern die Täter - schaurig dabei ist ihr offensichtlicher Spaß am Töten.
Die fiktive Wirklichkeit die Reiche in seinen Bildern schafft, ruft unweigerlich Erinnerungen an unsere eigenen Dämonen und Teufel wach. Wie gerne geben wir uns selbst das ein oder andere Mal dem Spiel mit so genannten Ego Shootern hin.
Keiner von uns, der die Bilder betrachtet, kann sich völlig frei machen von der bedenklichen Faszination, die diese präzise gemalten Waffen und ihre gewalttätigen Protagonisten auf uns ausüben.
Aber genau das ist es, was diese Bilder bezwecken wollen, uns mit unserem Innersten zu konfrontieren, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu erheben.
Dennoch ist Reiche klar in seiner Kritik, die meisten Menschen würden bereitwillig auf alles Schießen, das Sie nicht kennen und es bedarf großer zivilisatorischer Anstrengungen, die Angst vor dem Fremden zu Gunsten humanistischer Prinzipien zu Überwinden.
Dabei findet Reiche mit seiner Malerei einen neuen ganz eigenen ästhetischen Ansatz, indem er zwar auf der einen Seite fiktive Welten schafft, in den orgiastisch Gewaltexzesse stattfinden, die aber trotz dieser Fiktion in unser globales gesellschaftliches und politisches Umfeld passen. Die Aktualität dieser Malposition ist wahrscheinlich das, was einen am nachdenklichsten stimmt.
Wo stehen wir mit den eigenen Wertvorstellungen, wie dünn ist unsere eigene zivilisatorische Idee in Anbetracht dessen was bspw. IS Terroristen Menschen antun; würden wir uns nicht vielleicht auch klammheimlich wüschen mal richtig draufschlagen zu können und kurzen Prozess mit diesen Verrückten zu machen?
Mit gekonnten Strich und einer meisterlichen Bildkomposition entstehen kraftvoll gemalte Bilder, die in uns ein Gefühl der Entfremdung auslösen, dabei können wir unseren Blick kaum abwenden von diesen martialisch dahergekommenen Figuren und Szenerien, die in Ihrer ganz eigenen Ästhetik vollkommen darauf verzichten, in blutrünstigen Kitsch zu verfallen. Wir werden hineingezogen in eine Welt, die uns eine unheimliche Seite des Glücks offenbart: Das Glück des Täters beim töten.
Michele Sciurba