Newtopia: The State of Human Rights
We could not meet all of the artists, assistants, curator and team members of Newtopia, but some of them we did meet and talk to them, took pictures, videos, made interviews and generally enjoyed their ideas, presence and what they had to say about their works and human rights. Curious? In this category, you will find all that material that we shot, made and edited (and no, we are not pros at editing, so please forgive us the sometimes questionable quality)!Who else would you like to know more about?
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FAUST-GESPRÄCH MIT CAROLA SAAVEDRA
SCHWERPUNKT: LUSOPHONE LITERATUR
Die beste brasilianische Schriftstellerin sei Chilenin, lästerte einmal der angolanische Schriftsteller José Eduardo Agualusa in Anspielung auf Carola Saavedras Geburtsort Santiago de Chile. Seit ihrem dritten Lebensjahr lebt sie in Brasilien und ist sicherlich eine der bemerkenswertesten brasilianischen Schriftstellerinnen der neuen Generation – und nicht die Einzige, die nicht in Brasilien geboren wurde.
Kosmopolitin ist Carola Saavedra allerdings aus Berufung, lebte in Frankreich und Spanien und schließlich acht Jahre in Deutschland, wo sie Publizistik studierte und zu schreiben begann. Ihre ersten zwei Romane entstanden hier. Das Debüt Toda Terça („Dt. etwa: Immer Dienstags) spielt sogar teilweise in Deutschland. Nun ist ihr dritter Roman (der erste, den sie vollständig in Brasilien verfasste) in deutscher Übersetzung von Maria Hummitzsch erschienen: Landschaft mit Dromedar, ein Roman über die Liebe, eine Dreiecksbeziehung, den Tod und die Kunst. Schauplatz ist eine nicht näher benannte Insel. Brasilien wird mit keinem Wort erwähnt.
„Wir brasilianischen Schriftsteller wollen das Recht haben, auch nicht über Brasilien zu schreiben“, antwortet Carola Saavedra mittlerweile routinemäßig auf die Frage, was ihre Literatur wohl über Brasilien zu sagen habe, eine Position, die sie kürzlich unter dem Titel „Vom Exotischen und anderen Wundern“ (Übers.: Wanda Jakob. Lichtungen 133: Neue Lyrik aus Portugal/Neue Prosa aus Brasilien) in der österreichischen Literaturzeitschrift „Lichtungen“ ironisch präzisierte am fiktiven Beispiel eines indigenen Romanautors, der sich beharrlich und zur Enttäuschung seines Publikum weigert, über Schrumpfköpfe zu schreiben.
Wer sich einmal die wichtigsten ProtagonistInnen der jüngeren Brasilianischen Literatur anschaut, könnte in Carola Saavedra fast eine Sprecherin ihrer Generation sehen. Die neuen brasilianischen Romane spielen in Tokio, Sankt Petersburg, nirgendwo. Doch nur wenige Schriftstellerinnen und Schriftsteller äußern sich so dezidiert über ihren (Nicht)-Umgang mit dem insbesondere von außen herangetragenen, verstaubten Anspruch, lateinamerikanische Literatur müsse eine Art Landeskunde sein.
Carola Saavedras Landschaften jedenfalls sind ganz andere. Ihr geht es um Zwischenmenschliches, das Ausloten von Beziehungen, universelle und noch lange nicht ausdiskutierte Probleme wie Leben und Tod, Liebe und Macht, und immer auch die Stellung der Kunst als ein Mittel, sich all dem zu nähern. Diese Ernsthaftigkeit wird in ihren Romanen flankiert von einer sprachlich ausgefeilten Poesie, die ihre Übersetzerin Maria Hummitzsch auf großartige und sehr einfühlsame Weise ins Deutsche übertragen hat.
Mit zahlreichen wichtigen Preisen in Brasilien bedacht und fast selbstverständlich in die viel beachtete Anthologie „Die 20 besten jungen brasilianischen Schriftsteller“ der englischen Zeitschrift Granta aufgenommen, ist Carola Saavedra eine der herausragenden Protagonistinnen der neuen brasilianischen Literatur, deren „Brasilianität“ vor allem darin besteht, so offensiv wie selbstverständlich universell zu sein.
Michael Kegler
FAUST-GESPRÄCH MIT CAROLA SAAVEDRA
»Interpretationen dieser Wahrheit«
Sie sind 1973 in Chile geboren und gelten heute als international anerkannte Autorin Brasiliens, zugleich sprechen Sie fließend Deutsch. Wie ist dies alles möglich geworden?
Meine Eltern sind aus politischen Gründen von Chile nach Brasilien ausgewandert als ich drei Jahre war. Ich bin also in Brasilien zur Schule gegangen, habe dort Kommunikationswissenschaft studiert und später noch in Deutschland einen Magister in Publizistik gemacht. Eigentlich wollte ich nur zwei Jahre in Deutschland bleiben, aber am Ende waren es acht. Außerdem war ich noch je ein Jahr in Madrid und in Paris.
Wie haben Sie den kulturellen Wechsel erlebt?
Die beiden Kulturen sind zwar sehr verschieden, aber für mich war der Wechsel nicht schwierig. Ich wollte damals einfach sehr gern ins Ausland gehen. Durch meine Eltern habe ich jedoch zwei sehr unterschiedliche Seiten des Ins-Ausland-Gehens kennengelernt. Meine Eltern wollten Chile nicht verlassen, die politischen Umstände haben sie dazu gezwungen. Sie interessierten sich nicht sehr für die brasilianische Kultur und versuchten Chile in sich lebendig zu halten. Wir lebten in Brasilien wie auf einer Insel.
Als ich nach Deutschland kam, wollte ich hingegen unbedingt ins Ausland. Ich interessierte mich für die deutsche Kultur und war damals fast nur mit Deutschen zusammen. Ganz anders war es, als ich mit 17 Jahren erstmals nach Chile zurückkam. Diese Reise habe ich damals wie einen Kulturschock erlebt. Durch meine Eltern hatte ich ein Bild von Chile erhalten, das wenig mit der Realität zu tun hatte. Die Zeit war ja nicht stehen geblieben. Obwohl ich in meine „Heimat“ fuhr, war das meine erste bewusste „Auslandserfahrung“.
Sie haben erlebt, dass die eigenen Wurzeln zur Fremde geworden sind.
Ja, es klingt paradox. Erst die Literatur und die portugiesische Sprache haben mir eine Art Heimat und Identität gegeben. Für mich war das lange ein Problem, ich habe mich mit meinen Eltern in Brasilien immer als Ausländerin gefühlt. Ich empfand mich zwar brasilianisch, merkte aber auch, dass meine Herkunftsgeschichte eine andere war. Dort, wo ich wohnte, wurde Spanisch gesprochen, spanische Musik gehört und anders gegessen, das hat mir das Gefühl des Ausländisch-Seins gegeben. Erst später, in Deutschland, gab mir die portugiesische Sprache eine Identität. Bis heute kann ich nicht sagen, dass ich eine Brasilianerin oder Chilenin bin, ich kann aber sagen, dass ich eine brasilianische Schriftstellerin bin, das gibt mir ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Sie tragen drei Kulturen tief in sich, warum sind Sie nach zehn Jahren, die Sie in Europa verbracht haben, nach Brasilien zurückgekehrt?
Ich bin nicht nach Brasilien zurückgegangen, weil ich nicht mehr in Deutschland wohnen wollte. Ich bin zurück, weil ich in Brasilien wohnen wollte, das ist ein wichtiger Unterschied. Ich war in Deutschland sehr glücklich und ich liebe es, hier zu sein. Doch bin ich eine Schriftstellerin und schreibe auf Portugiesisch. Meine Bücher sind in Brasilien veröffentlicht. Hinsichtlich meiner Laufbahn als Schriftstellerin war ich hier ganz isoliert, in Brasilien hingegen haben sich viele Türen geöffnet. Mein erster Roman erschien gleich in einem wichtigen Verlag, ich bekam gute Kritiken, meine Bücher wurden gelesen und hatten Erfolg. Ich wollte an dem Ort meiner Bücher sein und als Schriftstellerin leben.
Was hat sie dazu geführt, Schriftstellerin zu werden?
Ich wollte schon als Kind Schriftsteller sein. In der Kindheit weiß man natürlich nicht, ob sich das weiterentwickelt, aber alles was ich im Leben gemacht habe, war immer mit dem Gedanken verbunden, ich werde Schriftstellerin. Mit diesem Ziel vor Augen kam ich nach Deutschland. Ich habe immer gedacht, als Schriftstellerin brauche ich eine besondere Ausbildung, ich muss so viel wie möglich lesen und verstehen. In den zehn Jahren zwischen zwanzig und dreißig habe ich die Ausbildung gemacht, die ich mir selbst ausgedacht habe. In dieser Zeit versuchte ich, mir die Grundlagen zu erarbeiten, die es mir ermöglichen, Texte zu schreiben, die nicht naiv sind, sondern einen wirklichen Unterschied machen. Das war die Idee, ich habe nie an etwas anderes gedacht, das war schon sehr obsessiv.
Welche Themen sind für Sie wichtig?
In Landschaft mit Dromedar habe ich mit Tonaufnahmen gearbeitet, die verschriftet werden. Allerdings bestimmen nicht nur die Stimmen der Figuren den Text, wie in einem Hörbuch fließen auch die Beschreibungen von Geräuschen mit ein. Die Idee war, eine Sprache zu kreieren, die gesprochen wirkt, aber geschrieben ist. Ich wollte an dieser Grenze zwischen gesprochener und geschriebener Sprache arbeiten. Wenn ich zum Beispiel ein Mikrofon nehme und rede und das anschließend transkribiere, ist das natürlich keine Literatur. Beim Schreiben wollte ich die Fiktion des Sprechens erzeugen, in dieser Mitte zu arbeiten war eine Herausforderung.
Der Verschriftende übernimmt in Ihrem Roman die Funktion des auktorialen Erzählers?
Derjenige, der die Tondokumente verschriftet, ist eine außenstehende Person, der Leser weiß nicht, wer das ist. Dieser Erzähler schildert nicht nur die Worte, die auf dem Band zu hören sind, sondern beschreibt auch Geräusche, die zu hören sind und die Dramaturgie der Geschichte stützen. Erst allmählich entwickelt sich im Leser eine Vorstellung von den Personen, ihrer Geschichte und der Gesamtsituation. Das Ende wird diese Vorstellung jedoch bizarr in Frage stellen.
Diese Erzählweise macht deutlich: Man hat nie Zugang zu dem, was wirklich passiert ist. Es gibt nicht die eine Wahrheit. Wir können nur Versionen oder Interpretationen dieser Wahrheit erzählen. Ich versuche darum, die Geschichte so zu erzählen, dass der Leser das Buch mitgestalten muss und nie weiß, was wirklich passiert ist.
Die Form des Erzählens muss unserem Verständnis von Wirklichkeit entsprechen. Mit Ihrer Erzählweise folgen Sie einem künstlerischen Konzept, das Illusionen entgegenwirkt.
Mein Ziel war es, ein Buch zu schreiben, das viele Ebenen hat. Man kann es einfach als Liebesgeschichte lesen, als eine Dreiecksbeziehung, doch wenn man sich für bestimmte Fragen der Literatur interessiert, kann man auch die Ebene aufnehmen, in der formale Fragen gestellt werden. Es interessiert mich, ein Buch zu schreiben, das auf den ersten Blick einfach scheint und bei genauerem Hinschauen viele subtile Elemente enthält.
Ein Thema dieser Erzählung ist beispielsweise die Idee der Liebe. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Liebe wie ein Produkt betrachtet wird. Liebe ist überall in der Werbung, im Fernsehen … lieben zu können ist jedoch nicht selbstverständlich. Die Figur in meinem Roman erkennt – und das ist ihre große Tragödie: Eigentlich habe ich nie jemanden geliebt, sie erkennt, dass sie innerlich verhärtet und nicht fähig war zu lieben. Eine Figur, die von der Welt isoliert ist, sich auf einer Insel befindet. Es geht auch um Tod und Trauer, viele Themen fließen ineinander.
Gibt es Themen, die durch die Zeit in Deutschland besonders geprägt sind?
Wenn ich diese Erfahrung nicht gehabt hätte, wäre ich wohl heute nicht Schriftstellerin, zwei Romane und ein Erzählband sind hier entstanden, aber Landschaft mit Dromedar ist das erste ins Deutsche übersetzte Buch. Die drei Hauptfiguren haben Namen (Erika, Karin, Alex), die sowohl deutsche als auch brasilianische Namen sein könnten, das ist mir zunächst nicht bewusst gewesen.
Deutschland hat ein breites kulturelles Angebot, ich habe Ausstellungen und Filme gesehen, zu denen ich in Lateinamerika keinen Zugang gehabt hätte. So habe ich gelernt, in einer anderen Weise zu denken. Eine Sprache ist wie eine Weltanschauung, man ist jemand anderes in einer anderen Sprache, man denkt auch anders.
Zeigen sich Unterschiede auch in der Sprache, können Sie Beispiele nennen?
Ein deutsches Wort liebe ich besonders, es hat mir ermöglicht, ein Gefühl zu benennen, das ich ohne die deutsche Sprache nie hätte in Worte fassen können, es ist das Wort Fernweh. Fernweh ist ein wunderschönes Wort, es drückt genau aus, was mich lange Zeit angetrieben hat.
Mussten Sie bestimmte Seiten Ihrer persönlichen Lebensart in dieser Zeit zurückstellen?
Diese Frage ist Thema meines ersten Romans. Darin beschreibe ich einen Lateinamerikaner, der in Frankfurt wohnt und sich mit der Problematik des Ausländerseins auseinandersetzt. Er fragt, was ist das Andere, wie gehe ich damit um, wie funktioniert diese andere Kultur, wie sehr kann ich mich anpassen? Er promoviert, wird aber nie fertig. Die Zeit vergeht, er bleibt hier, hat aber keine Wurzeln mehr und weiß nicht, wo er eigentlich hingehört…
Unterschiede spüre ich auch bei der Rezeption meines aktuellen Buchs. Es wird in Deutschland anders gelesen als in Brasilien. Bestimmte Aspekte des Buchs werden nur hier wahrgenommen, sie existieren nur hier. Für einen brasilianischen Leser sind sie nicht zu verstehen, weil ihm die Erfahrung der deutschen Kultur fehlt.
Welche Aspekte sind das konkret? Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach die deutsche Kultur von der brasilianischen?
Man kann nicht allgemein antworten, das Klima ist natürlich eine große Schwierigkeit, aber auch die Art, wie man mit anderen Leuten umgeht. Freundschaften entstehen in Brasilien auf eine andere Art, man kommt sich schnell nah, nach wenigen Tagen hat man seine ganze Lebensgeschichte ausgetauscht. Die Nähe ist jedoch nur scheinbar, in Deutschland hingegen ist es ein langer Prozess, erst nach ein oder zwei Jahren kann man sagen, jetzt sind wir gut befreundet. Diese Langsamkeit entspricht mir, ich brauche mehr Zeit, darum habe ich mich hier sehr wohl gefühlt.
Das Gespräch führte Andrea Pollmeier