06.10.2013 12:00

Gespräch mit Andrea Grosso Ciponte

 

Interview von Federica Melzi mit Andrea Grosso Ciponte 

Frage: Andrea Grosso Ciponte, wie würdest Du Deine Forschung beschreiben?

Antwort: Ich widme mich, soweit wie möglich, täglich der Malerei. Einen Einblick gibt mein Facebookalbum, in welchem ich mit Hilfe der gemalten Bilder ein sofortiges Feedback suche. Natürlich schaffe ich es bei einer derartigen Produktion an Bildern nicht, die Qualität immer gleich hoch zu halten, daher lösche ich oft, was ich male. Jeden Tag widme ich mich entweder der Malerei oder der Herstellung von digitalen Bildern; ich kann einfach nicht ohne leben. Eine Eigenart meiner Kunst ist es, dass ich mir wenig Zeit damit lasse, darüber nachzudenken, was ich tue und jedes Mal wenn ich versuche, meine Arbeit zu planen, merke ich, dass es nicht funktioniert. Im Gegenteil, mir gefällt es, schnelle Entscheidungen zu treffen. Ich würde sagen, man sieht, dass die Pinselstriche schnell auf die Leinwand gebracht wurden ... und das ist es, was mich interessiert.

 

2.

Frage: Aus Deinen Schriftstücken und Deinen Kunstwerken geht hervor, dass es sich bei der Malerei um eine notwendige Ausdrucksform handelt. Und Du selbst sprichst davon, wenn Du bildlich sagst, sie sei “ein mit Schlamm bedeckter Hund, der Dich vor Freude anspringt, wenn Du elegant gekleidet bist”...

 

Antwort: Ich muss dazu sagen, dass ich sowohl beim Schreiben - als auch beim Malen - ein Faible für Zitate habe. Ich liebe es, mit Zitaten zu spielen, auch wenn diese versteckt sind: diese Aussage habe ich vor einigen Jahren gemacht und bezog mich dabei eben auf Tom Waits.

 

3.

Frage: Kannst Du mir ein Beispiel eines malerischen Zitats nennen? Und was ist für Dich ein malerisches Zitat?

 

Antwort: Ich denke, dass jeder Künstler unweigerlich etwas übernimmt, was bereits gemacht wurde und dass die Originalität darin besteht, die Einflüsse mit der eigenen Persönlichkeit zu kombinieren und zu filtern.

Es freut mich, wenn Menschen meine Arbeit betrachten und Einflüsse anderer Künstler darin sehen, in der Hoffnung, kein Plagiat zu begehen, sondern etwas eines anderen Künstlers meins gemacht zu haben. 

Es gibt sehr viele Künstler, bei denen ich es „riskiere“, ein Plagiat zu begehen, ich verliebe mich immer wieder in verschiedene Kunstwerke.... Es scheint mir Unrecht, diese aufzulisten, aber ich kann es nicht unterlassen, zumindest die Wichtigsten zu nennen. Vor Allem  Danijel Zezelj, der Komik-Zeichner. Ich habe ihn aus Zufall in einem Zeitungskiosk entdeckt, als ich noch zur Schule ging (ich habe eine wissenschaftliche Schule besucht und hatte daher nicht viele künstlerische Reize). Meine ersten Bilder in schwarz-weißer Akrylfarbe haben ihm viel zu verdanken.

Die ersten Kunst-Monographien, die ich gekauft habe, ohne etwas von den behandelten Künstlern zu wissen, waren vor Allem Egon Schiele, der mich sehr gezeichnet hat, und Gustav Klimt. Danach sehr viele Andere...

Um jedoch auf die Frage zu antworten, möchte ich feststellen, dass es mir heutzutage gefällt, die Zitate hervorzuheben, ein Beispiel für alle ist "Baldessari Blues". Hier unterstreiche ich - auch im Titel - die Widmung an John Baldessari (seine Fotoreihe von mit Kreisen bedeckten Gesichtern).

  

 

 


4.

Frage: Hat sich im Laufe der Jahre etwas an Deiner Dringlichkeit der Ausdrucksform verändert?

 

Antwort: Nicht wirklich .. ich weiß nicht, woher diese Dringlichkeit kommt ... ich würde sagen, es ist meine Art, mich auszudrücken. Mit den Jahren habe ich mich immer mehr der digitalen Kunst genähert und ich widme mich der Kunst mit demselben Ansatz, indem ich versuche, die Arbeit schnell zum Ende zu bringen ... vielleicht ist das ein Merkmal und eine Grenze meiner Malerei: ich versuche, jedes Kunstwerk in einer einzigen Arbeitssitzung fertigzustellen, normalerweise an einem einzigen Tag.

 

5.

Frage: Als Wortspiel könnte man sagen, dass es ich um eine “eilige Dringlichkeit” handelt ... (Lachen)

 

Antwort: (Lachen)... bei der Malerei gab ich mir die Ausrede, dass es ein technisches Problem sei ... und bei den digitalen Arbeiten könnte ich theoretisch aufhören und später weiterarbeiten. Aber nein. Ich neige dazu, die Arbeit in sehr kurzer Zeit zum Ende zu bringen. Und da ich meine Arbeit sehr kritisch in Augenschein nehme, stellen sich bei der Realisierung technische Probleme, da ich verschiedene Phasen auf einen kurzen Zeitraum konzentriere.

 

6.

Frage: Um auf die Malerei zurückzukommen, wie wählst Du die Geschichten aus, die Du darstellst, fast als wären es “Fotoaufnahmen” auf Leinwand?

 

Antwort: Meiner Ansicht nach mit viel Schizophrenie, denn ich versuche, jeden Tag etwas Anderes herzustellen ... ich wähle jeden Tag neu .... ich versuche, meine Arbeit zu planen, aber dann verändere ich die Pläne immer. Es gibt jeden Tag neue Reize und diese führen mich immer wieder auf neue Wege.

 

7.

Frage: Suchst Du die Geschichten oder suchen diese Dich?

 

Antwort: Ich würde sagen, vor Allem das Zweite.

 

8.

Frage: Im Aussehen einer Person versteckt sich Vieles. Hast Du jemals eine “lombrosianische” Versuchung verspürt? (Cesare Lobroso, Arzt und Anthropologe, der als Gründer der Kriminologie gilt, AdR)

 

Antwort: Ich habe in meinem Leben keine Vorurteile dieser Art, ich interessiere mich dafür, Gesichter darzustellen, jedoch nicht dafür, diese unter jeglichem Gesichtspunkt zu beurteilen.

 

9.

Frage: Aber es gibt doch bestimmt Geschichten (und daher Bilder), welche Dir mehr unter die Haut gehen als andere...

 

Antwort: Die persönlicheren Arbeiten sind unter den Selbstdarstellungen zu finden, mit Ausnahme einiger spezifischer Arbeiten, aber ich würde mich gerne auch nicht ausschließlich über Abbildungen darstellen, so wie ich es in der Vergangenheit getan habe, und zwar mit bekannten Gesichtern aus der Musik- und Kinowelt - mit einer Einstellung und einer Pop-Optik. Es handelte sich um Komparsen. Nun zeige ich mich durch meine Art zu malen ... In letzter Zeit ist das Objekt eher zweitrangig, ich interessiere mich mehr für die Art, zu malen.

 

10.

Frage: Was hat sich verändert?

Antwort: Ich kann feststellen, dass meine Arbeiten bis zum Jahre 2008 alle mit demselben technischen Verfahren hergestellt worden sind. Die Technik, welche ich über lange Zeit hinweg verwendet habe, ist prinzipiell meine Technik, ich kann mich daran erinnern, etwas gefunden zu haben, was meiner Technik ähnelt aber sie hat keinen festgelegten Namen, sondern ist etwas zwischen “Kratzen” und “Malerei mit einem Lappen”. Daraus ergab sich eine Textur, welche dem Photogramm ähnelte. Als ich die Werke  von Daniele Galliano http://www.danielegalliano.com/1995.html gesehen habe, habe ich gedacht, wir haben ähnliche Forschungsansätze, aber das ist meine Ansicht, ich habe mich niemals mit ihm darüber unterhalten. Den eher bekannten Gerhard Richter habe ich als Einfluss von Galliano und anderen Künstlern gesehen, die auf Frames arbeiten, mich eingeschlossen.

Aber mit der Zeit hat sich diese Technik immer wiederholt; auch wenn ich selbst darauf gekommen war und mir diese Technik gefiel, wusste ich, dass sie meine Arbeit führte. Ich fand, sie grenzte mich im Detail ein. Daher habe ich viel Zeit damit verwendet, meine Technik zu ändern und mehr Zeit in Anspruch zu nehmen, um mit mehr Sorgfalt zu malen, ohne viel Erfolg. Heute wähle ich das Objekt wegen des Lichts und der Farbe aus; unter diesem Gesichtspunkt bin ich klassischer geworden. Mit den Jahren habe ich auch versucht, die Palette zu verändern, ich verwende weiterhin sehr wenige Farben und habe eine “begrenzte Palette”.

 

 

11.

Frage: Wie siehst Du Deine Kunst in der Zukunft?

 

Antwort: (Lachen) Es ist schwer, darüber zu sprechen, denn oft komme ich von meinen eigenen Plänen ab, weil ich an neuen “Wegen” interessiert bin. Derzeit versuche ich, meine künstlerische und meine digitale Seele beieinander zu halten; ich möchte strukturierte Werke schaffen, beginnend mit einem digitalen Werk, um dann zur Leinwand zu gelangen; das Endergebnis muss jedoch immer malerisch sein.

 

 

12.

Frage: Glaubst Du, dass man Deine Kunst in den regionalen, kalabrischen Kontext eingliedern kann?

 

Antwort: Nein, ich würde sagen nein. Ich habe die Akademie in Catanzaro besucht, wo, - so wie in Reggio Calabria - Generationen von Professoren unterrichteten, welche der darstellenden Kunst den Rücken gekehrt hatten.  Daraus folgte unter den Jugendlichen die natürliche Rückkehr zur darstellenden Kunst; aus diesem Grund kann ich sagen, dass ich gegen die erhaltenen Lehren gegangen bin. Aber viele drücken sich heutzutage mit Installationen aus, nicht mehr mit Arbeiten auf der Leinwand ....

 

13.

Frage: In Dir birgt sich daher viel Tradition....

 

Antwort: Es ist wichtig zu bedenken, dass mein Background aus der Welt der Comics und der Darstellung stammt und ich mich durch diese Medien der Kunst genähert habe. Auch heute noch nehme ich auf diese Medien Bezug, und das sieht man meinen Arbeiten an; es ist meine Art, Künstler zu sein.

 

14.

Frage: Wenn Du Dich regional als Unikum siehst, wie sieht es auf nationalem und internationalem Niveau aus?

 

Antwort: Heutzutage ermöglicht es das Internet, auf internationalem Niveau zu beobachten und beobachtet zu werden; ich finde einfach, dass nichts Merkwürdiges daran zu finden ist, gleichzeitig die Digitalwelt und die Malerei zu verwenden, sondern diese Technik oft in den darstellenden Künstlern wie mir zu finden ist.

 

15.

Frage: Du sagst, Du konzentrierst Dich auf das Objekt ... und die Selbstdarstellungen?

 

Antwort: Es fehlt an Objekten, daher stelle ich mich selbst dar (Lachen). Siehst Du, auch das ist ein Zitat. Es stammt von Andrea Pazienza (italienischer Komikzeichner und Maler, AdR), welcher sich in der Tat oft selbst darstellt. Ich würde sagen, es gefällt mir, mit meinem Gesicht zu spielen, ich sehe darin nichts Tiefgehendes.

 

16.

Frage: Warum dann diese “ernsten” Gesichtsausdrücke?

 

Antwort: Weil ich mich von meiner Perspektive aus gesehen immer schlechter behandeln kann: mit mir selbst kann ich mir die Freiheit nehmen, kein schönes Abbild zu malen. Bei meinen Arbeiten handelt es sich nicht um Darstellungen, aber wenn ich Jemanden malen will, fühle ich mich gezwungen, das Objekt auf eine bestimmte Weise zu behandeln ... ich ziehe es vor, spontan zu malen, während ich Musik höre, auch auf Straßen-Konzerten. Ich nehme “Eindrücke” auf, welche dann oft Werke werden, die ich nicht verkaufe oder erst gar nicht fertigstelle.

 

17.

Frage: In den Werken ist auch die Abwesenheit von “Lächeln” zu bemerken ...

 

Antwort: Das kommt wohl daher, dass ich mir lachend nicht gefalle ... und auch meine Objekte gefallen mir nicht, wenn sie lachen. Ich denke auch, dass mir die Werke - und in der Kunstgeschichte gibt es nur sehr wenige - nicht gefallen, in denen fröhliche Situationen wiedergegeben werden...

 

18.

Frage: Kommen wir nun auf die verheerende Situation des Kulturguts auf regionalem und nationalem Niveau zu sprechen...

 

Antwort: Vielleicht bin ich sehr hart, aber in Kalabrien gibt es sehr viele Probleme und das Gleiche gilt auf nationalem Niveau. Ich nenne ein Beispiel: ich habe per Email eine Petition erhalten, während ich mich bei der Arbeit im historischen Zentrum befand und das Wasser abgestellt wurde. Du wirst verstehen, dass die Petition, und demnach jegliche andere Angelegenheit, auch wenn wichtig und notwendig, in Vergessenheit gerät, wenn man mit derartigen Problemen konfrontiert wird.

 

19.

Frage: Kommen wir zu einem anderen Kapitel, Andrea. Sprechen wir von Dir, nicht nur von Deiner Malerei. Lassen wir uns vom sehr berühmten Fragebogen nach Proust anregen. Vieleicht schaffen wir es, ein Bild von Dir wiederzugeben...

 

 

Dein Hauptcharakterzug?

Mir fällt in diesem Moment die Schüchternheit ein...

 

Der größte Fehler, den Du begangen hast?

Keiner

 

Wann hast Du das letzte Mal geweint?

Das ist nicht lange her... aber ich kann mich nicht an den Grund erinnern...

 

Welche Begegnung hat Dein Leben verändert?

Die Begegnung, die meine Kunst verändert hat, war glaube ich 1998 während der Komik-Messe Lucca Comics. Ich habe Rick Berry e Phil Hale getroffen, eine künstlerische Jam-Session; in wenigen Stunden habe ich mehr gelernt als in der Akademie!

 

Der glücklichste Tag?

Es sind wenige...

 

Und der unglücklichste Tag?

Es sind viele...

 

Welche Person würdest Du wieder ins Leben rufen?

Mehr als eine, meine Familienmitglieder, die mich zu früh verlassen haben...

 

Was war in der Schule Dein Lieblingsfach?

Das Fach, was ich lehre, dieses Jahr habe ich Informatik gelehrt und die Programmiersprache im Detail vermittelt!

 

Deine Lieblingsstadt?
Catanzaro, ich bin so oft wegen des Studiums und der Arbeit dort gewesen, dass sie mir gefallen musste.

 

Deine Lieblingsfarbe
Orange, aber um genauer zu sein, gebrannte Sienaerde.

 

Dein Lieblingsgetränk?

Ich zitiere mich selbst, Bier http://www.youtube.com/watch?v=BUWnDWMKQck
 

Dein Lieblingsessen?

Ich bin nicht sehr wählerisch.
 

Deine erste Erinnerung?
Die Zeichnung, die ich auf der Rückseite eines Kalenders von meinem Großvater gemacht habe, ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, wie das Bild geworden ist.

 

Dein Lieblingsbuch überhaupt?
Aus einigen Kurzgeschichten des Werks “Tales of ordinary madness” von Charles Bukowski,  habe ich versucht, Comics zu machen.

Dein Lieblingsbuch der letzten Jahre?

“Alla Prima” di Richard Schmid

 

Dein Lieblingsautor?
Der Nächste, der mich plagen wird.

 

Kult-Film
“Brazil” di Terry Gilliam oder “After Hours” von Martin Scorsese bzw. “Daunbailò” von Jim Jarmush oder  “Alle hinlegen” von Davide Ferrario u.s.w. u.s.w.
 

Lieblings-Schauspieler/Lieblings-Schauspielerin?
Ehrlich gesagt, habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht.
 

Welche historische Persönlichkeit bewundern Sie?
Die Persönlichkeiten, welche Geschichte geschrieben haben.
 

Und die meist gehasste historische Persönlichkeit?
Die Persönlichkeiten, welche Geschichte geschrieben haben.
 

Was hasst Du am Meisten?
Ich versuche, mit Allem zu Recht zukommen, ich hasse es, missgelaunt zu sein.

 

Wenn Du nicht diesen Beruf ausgeübt hättest, würdest Du...

Ich würde trotzdem versuchen, diesen Beruf auszuüben.  

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